Mittelalter

 

 

Rolfsohns Wut erreichte den Höhepunkt. Mit schweren Schritten eilte er auf den Weinkeller zu. Vor der rohen Tür mit den rostigen Beschlägen vernahm er jedoch plötzlich ein leises Wimmern., Als er den Raum betrat, blickte er in das bewegungslose Antlitz Baxmanns, der mit weit aufgerissenen Augen hinter einem Fass kauerte und an die Gewölbedecke starrte. Ein gespenstisches, blaues Licht erfüllte den Kelleraum. Es wurde ungewöhnlich kalt. Dann hörte der Verwalter die Stimme. Merkwürdig verzerrt und schwankend. Wie in einem Sturm bei rauschendem Regen gesprochen. Sie kam aus einem unwirklichen Lichtspiel über ihm, das auch ihn in den Bann zog.

"Hört, ihr Herren… es soll fortan euer Schaden sein, dass ihr mich meines Lebens unter euch beraubt habt."

Aus dem flimmernden Farbenspiel entstand sekundenlang ein schemenhaftes Gesicht mit geschlossenen Augen. Graue nebulöse Formen, die wie Wolken vergingen.

Baxmann keuchte. Dann schrie er mit hoher, keifender Stimme:

"Sie ist es! Gott, sie ist es wirklich!"

Rolfsohn versuchte, die Fassung zu bewahren. Doch es gelang nicht. Er merkte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.

"Wer ist das, du verdammter Satansbraten?" stöhnte er.

Baxmanns Gejammer wurde bei diesen Worten wieder erbärmlicher. Doch die Stimme erklang monoton weiter.

"Ihr sollt verflucht sein bis über eure Tage hinaus… keine Ruhe finden im Schoße der Allmächtigen… die ob da sind Jesus Christus oder sein unrechter Bruder Luzifer."

Die letzten Silben waren kaum noch zu verstehen, da sich das Farbenspiel in grelles Licht verwandelte, das wenig später mit kreischendem Geräusch im Nichts verschwand. Zurück blieb die kalte, feuchte Bruchsteindecke des Weinkellers und eine unheimliche Stille. Selbst Baxmann war jetzt verstummt.

Rolfsohn stürzte auf ihn zu. Nahm sich keine Zeit, über die Sache länger nachzudenken.

"Was war das, du Narr? Sprich endlich, sonst -“

Baxmann rollte die Augen, als ob er aus einem Traum erwachte. Dann flüsterte er mit irrem Blick:

 "Die Clausing war's, Herr! Die Marie!"

 

Gegenwart

 

Kathrin fühlte sich, als würde sie jeden Moment ersticken. Dieses blaue Etwas nahm ihr die Luft zum Atmen und erzeugte ein heftiges Panikgefühl. Sie bekam nicht mit, dass ihr Begleiter niedergeschlagen wurde. Sie spürte zwar, dass man sie grob an den Armen anfasste und durch den Raum zog, konnte jedoch den Sinn der Aktion nicht erfassen. Einige Sekunden später wurde die Sicht plötzlich klarer. Der leuchtende, blaue Schleier wich vor ihrem Gesicht wie Nebel vor der Morgensonne. Sie fand sich in einem anderen Raum wieder, der einer Saunakabine glich. Unerträgliche Hitze verstärkte diesen Eindruck. Die dunkle Umgebung wurde nur durch phosphoreszierendes, blaues Licht erhellt, das aus einem Becken vor ihr erstrahlte.

Kathrin musste mehrmals blinzeln, um die Silhouette einer menschenähnlichen Gestalt unter der Wasseroberfläche zu erkennen. Bevor sie sich jedoch darauf besinnen konnte, bewegte sich dieses Wesen plötzlich mit ungeheurer Schnelligkeit und entsprang dem Becken.

Kathrins Herzschlag fing an zu stolpern. Ihr Verstand konnte das vor ihr ablaufende Geschehen nicht mehr bewältigen. Er drohte, zu kollabieren. Doch mit all ihrer verbliebenen Stärke kämpfte sie gegen die aufkommende Übelkeit an.

Während dieser fremde Körper das Becken verließ, wurde er unsichtbar. Die Wasseroberfläche schien die Grenze darzustellen zwischen Sein und Nichtsein.

Gierig schnappte etwas nach Kathrins Gesicht. Instinktiv. riss sie die Hände hoch und stemmte sie gegen den nicht sichtbaren Angreifer. Doch es war aussichtslos. Sie spürte, wie sie verletzt wurde. Höllische Schmerzen zogen in rasender Geschwindigkeit durch Arme, Halswirbel und den Brustkorb. Gaben das Signal zur Aufgabe und ließen ihre Kräfte förmlich  dahin schmelzen.

Plötzlich ließ der eiserne Griff dieses unsichtbaren Monsters nach. Kathrin hatte den Eindruck, als riss es jemand gewaltsam zurück. Sie bekam wieder etwas Luft und bemerkte bei diesem letzten Kraftaufwand vor der Bewusstlosigkeit einen sehr hellen, funkelnden Dunstschleier, der den vermeintlichen Angreifer umhüllte und damit wieder sichtbar machte. Kathrin wurde Zeuge, wie die Silhouette aus dem Becken und der Dunstschleier heftig miteinander kämpften. Ein unglaublich schneller und zorniger Fight, ausgetragen unter Wesen aus einer anderen Welt. In dieser gespenstischen Atmosphäre sowie den kreischenden Geräuschen, die an kämpfende Kater erinnerten, nutzte Kathrin die Gelegenheit, auf allen Vieren auf den Flur zu kriechen. Ihre Denkfähigkeit fing wieder an zu arbeiten,  doch der Verstand schaltete die Erkenntnis der physischen Beeinträchtigungen völlig ab.

Sie musste Mark finden. Unbedingt. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er die ganze Zeit nicht mehr bei ihr gewesen war.

Dann sah sie ihn und erstarrte. Er saß auf auf einem Hocker im Flur. Die Arme festgebunden an einem neben ihm hängenden Heizkörper. Sein Gesicht von Platzwunden übersät. Hinter ihm stand dieser Leibwächter Curd mit einem Baseballschläger bewaffnet, während Claus Degenhardt mit wuchtigen Schlägen auf ihn eindrosch.

Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse. Im selben Moment, als Degenhardt und der Bodyguard Kathrin bemerkten, wurde mit lautem Krachen die Korridortür aus der Zarge gerissen. Vermummte Beamte eines Sondereinsatz-Kommandos der Polizei stürmten in das Apartment und überrumpelten Marks Peiniger in wenigen Sekunden. Dann kamen einige nicht uniformierte Männer durch den Flur. Einen davon erkannte Kathrin, konnte ihn jedoch nicht richtig einordnen.

Kathrins Nervensystem kollabierte. Wie durch Watte nahm sie wahr, dass der ihr bekannte Mann seine Hände nach ihr ausstreckte und ihr behutsam hoch half. In seinen Augen spiegelte sich kurz die Überraschung wegen ihrer erheblichen Verletzungen.

"Hören sie mich, Frau Thimm", sagte er mit normaler Stimme Denn die furchtbaren Geräusche hinter ihr aus dem Raum waren mittlerweile verebbt. Auch die SEK-Beamten hatten sich bis auf drei mit den Festgenommenen wieder zurückgezogen. Die drei Beamten sondierten sämtliche Räume des Apartments. Doch ohne Ergebnis. Es befand sich niemand mehr in der Wohnung.

"Frau Thimm?" fuhr der Mann fort. "Erkennen sie mich? Volke. Von Sammys Lokal. Sie sind jetzt in Sicherheit. Der Arzt ist schon unterwegs!"

An Kathrins rechter Seite erschien das vermummte Gesicht eines SEK-Beamten.

 "Wir rücken ab", brummte er. Es war das letzte, was Kathrins Verstand noch erfassen konnte. Dann fiel sie in ein  dunkles Loch.